Auswandern ins Surferparadies – Wie funktioniert das?

Ein Leben am Meer – davon hat KOMPASS-Redakteurin Anna Wengel lange geträumt. Vor einem Jahr hat sie sich den Traum erfüllt und ist von Berlin nach Aljezur gezogen, einer kleinen portugiesischen Stadt in der Algarve.

Der vertraute Geruch von Eukalyptus, Korkeichen und Meerwasser liegt in der Luft, die Wellen brechen mit einem lauten Rauschen am Strand, eine altbekannte Ruhe breitet sich in mir aus. Ich bin in Portugal. Endlich. Nach Jahren, in denen ich immer wieder herkam, um neue Energie zu tanken und mich eine Weile vom Berliner Stadtleben zu erholen, bin ich nun hier und bleibe, zumindest vorerst.

Als Stadtkind auf’s Dorf

Lange habe ich überlegt, ob es klug ist, als ausgemachtes Stadtkind in eine Mini-Stadt wie Aljezur zu ziehen. Der kleine Ort im Nordwesten der Algarve hat laut Wikipedia eine Bevölkerungsdichte von knapp 4.000 Menschen. Gefühlt sind es im Winter weitaus weniger. Wie viele Städte im portugiesischen Süden ist auch Aljezur gerade im Sommer für Saisonarbeiter und Traveler attraktiv, im Winter jedoch wie ausgestorben.

Am Ende siegten Heimatgefühl und das Bedürfnis nach einem Ort zum Durchatmen über die Zweifel und die erwartete Sehnsucht nach dem Leben und den Liebsten in Berlin. Die vertrauten Gerüche, die ich seit meiner Kindheit mit der Urlaubswahlheimat meiner Eltern verbinde, gekoppelt mit dem Rauschen des Meeres, machen diesen Ort seit Jahren zu meinem Refugium. Wieso also nicht eine Weile in diesem Rückzugsort leben – zurück nach Hause kann man ja immer.

Ich vermietete also meine Berliner Wohnung unter, buchte den nächsten Flug nach Faro – dieses Mal One-way–, packte meine Sachen, drückte meine Liebsten und machte mich auf in eine neues Abenteuer.

Wo kommt das Geld her?

Die erste Frage, die mir die meisten Bekannten stellten, wenn ich von meinen Auswandererplänen erzählte, war die: „Wovon willst du denn da leben?“ Jobs gibt es tatsächlich viele. Denn wo Tourismus ist, werden Manager für Pensionen, Hostels und Co., Köche, Kellner und Reinigungskräfte gebraucht. Liegt das Urlaubsdomizil am Meer, kommt vor allem eine Nachfrage nach Surflehrern und Lifeguards hinzu. Und natürlich wird auch jede Form von Handwerksberuf benötigt. Ebenso steigt der Bedarf an Yoga-Lehrern stetig, da Yoga, wie im Rest Europas, auch in Portugal zum immer größer werdenden Trend avanciert.

Ein anderes Model, das ich hier kennenlernte, waren die Winterarbeiter. Einige Freunde und Bekannte von mir arbeiten den Winter über pausenlos – sei es in Skigebieten, auf Yachten oder auch in diversen Firmen, die ihre Mitarbeiter für viele Stunden Arbeit mit einem hohen Honorar belohnen. Ein Freund von mir arbeitete zum Beispiel den Winter über als Elektriker in Neuseeland und bekam dafür so viel Geld, dass er sich nun den Sommer frei nehmen und über ein halbes Jahr Urlaub in Portugal machen kann, wo die Lebenshaltungskosten im Vergleich zu Neuseeland niedrig sind.

Möglichkeiten gibt es also viele. In meinem Fall ist es dennoch ein bisschen anders. Ich bin freiberufliche Journalistin und habe meine Arbeit mit nach Portugal genommen. Meine Auftraggeber sitzen in Deutschland, die Notwendigkeit, dass ich vor Ort arbeite besteht selten. Und wenn doch, fliege ich eben rüber. Ähnlich wie ich und eine andere Autorin machen es auch die diversen Web- und Grafikdesigner, die von überall aus der Welt hierher gekommen sind.

Mit Mundpropaganda zum Traumhaus

Die Jobfrage war also bereits im Vorhinein geklärt, anders die Wohnungssuche. Mein Versuch, von Berlin aus eine Wohnung zu finden, scheiterte schnell an der Realität. Wohnraum wird hier nicht wie in Deutschland gewohnt über das Internet gesucht, Mundpropaganda ist Mittel und Weg, in Aljezur an Häuser, Autos und Jobs zu kommen. Kaum angekommen erzählte ich also Bekannten wie Unbekannten, dass ich Wohnung und Auto suchte, postete Anfragen auf Facebook und ließ die Mitarbeiter diverser Geschäfte und Immobilienbüros wissen, dass ich auf der Suche war. Das brachte mir nach zwei Monaten Suche – in denen ich im Haus eines Freundes unterkam – nicht nur den Ruf der Aljezurer Wohnungsexpertin ein, sondern dank der Bekannten eines Bekannten einer Bekannten auch ein wunderschönes neues Domizil im Herzen Aljezurs, mit einer Aussicht, für die man in größeren Städten hunderte, wenn nicht tausende von Euros bezahlen würde, die hier jedoch günstiger ist, als ein Ein-Zimmer-Apartment in einem Berliner Hinterhaus.

Vorankommen ohne Auto? Möglich, aber beschwerlich

Neben Wohnung und Job ist es vor allem ein fahrbarer Untersatz, der zu den Grundbedürfnissen eines Lebens auf dem Dorf zählt. Denn anders als etwa in Lissabon fahren durch Aljezur keine Straßen- oder U-Bahnen. Na gut, es gibt Busse, aber die bringen einen nicht überall hin und fahren außerdem selten. Wer hier führerscheinlos ist oder ständig am finanziellen Limit lebt, kommt dank ausgezeichneter Daumen-raus-und-schon-hält-jemand-an-Gepflogenheiten, Fahrrad und Füßen natürlich auch irgendwie voran. Mir erschien das Auto aber von Anfang an genauso notwendig wie ein Dach über dem Kopf. Denn so klein der Ort auch sein mag, fußläufig ist trotzdem ein weit dehnbarer Begriff.

Ich hatte von einem Mechaniker in Aljezur gehört, der hin und wieder Gebrauchtwagen verkauft. Ohne irgendeinen Funken Ahnung von Autos zu haben, fuhr ich mit meinem Leihwagen zur Werkstatt und durfte sogleich einen Blick in das Innere eines alten VW Golfs werfen: Schimmel, fehlende Gurte und ein Loch im Boden. Eine Schrottkarre für 1.000 Euro.

Kurz nach der Autoschau traf ich eine Freundin im Café und erzählte ihr nebenbei von diesem doch sehr fragwürdigen Angebot. Sie verschluckte sich fast an ihrem Kaffee, riss die Augen auf und sagte: „Du darfst dieses Auto auf gar keinen Fall kaufen!“ Amüsiert über ihre plötzliche Ernsthaftigkeit hakte ich nach. Ein Jahr zuvor hatte der Mechaniker ihr dieses Auto für 600 Euro angeboten. Anders als ich, hatte sie sich direkt einen Autokenner mitgenommen – der ihr ganz klar vom Kauf abriet. Im Nachhinein erfuhr sie, dass der Mechaniker das Auto bereits diverse Male an Touristen vermietet hatte, die, einer nach dem anderen, damit liegen geblieben waren. Das gehört, freute ich mich zum ersten Mal in meinem Leben über Dorfklatsch.

Der sollte mir in Sachen Auto kurz darauf zu Gute kommen: ein Freund einer Freundin einer Freundin verkaufte seinen geliebten alten VW Polo. Trotz des vorangeschrittenen Alters in gutem Zustand und – als nostalgischer Pluspunkt – genau der Wagen, den ich schon mit 18 Jahren gefahren war. Gesehen, gefahren, gekauft.

Wen trifft man woanders?

Job, Auto und Wohnung waren geklärt, nun konnte der richtige Spaß losgehen: das Leben in meinem kleinen portugiesischen Paradies. Dieses Gefühl teile ich mit etlichen Auswanderern aus aller Welt, die sich hier nach ein oder mehreren Besuchen niedergelassen haben. In erster Linie sind es Surfer, die sich von zahlreichen Surfspots wie Arrifana, Beliche oder Ponta Ruiva – um nur drei zu nennen – nach Aljezur haben treiben lassen und die Strände und Straßen in einen Laufsteg für Beach-Looks verwandeln: Damen und Herren mit von der Sonne aufgehellten, ins Bodenlose wachsenden Haaren in Bordshorts, Bikinis und Wetsuits und mehr oder minder gestählten Körpern sind Teil des Straßenbildes.

Und die kommen von überall her. Neben den hier ansässigen Portugiesen sind es vor allem Deutsche und Engländer, die sich in der kleinen Stadt niedergelassen haben. Hinzu kommen jede Menge Australier, Spanier, Italiener, Brasilianer sowie viele andere Nationalitäten. Entsprechend der Vielzahl an Nicht-Portugiesen ist neben Portugiesisch die Hauptsprache Englisch und vielfach auch Deutsch.

Kommunenleben & Entbehrungen

Mit all diesen Auswanderern, die hier wie ich ihren aktuellen Lebensmittelpunkt gefunden haben, sowie ein paar Portugiesen, die jedoch – zumindest in meiner Alterssparte – schon fast die Minderheit bilden, lebt es sich hier fast wie in einer Kommune. Zum ersten Mal in meinem Leben lerne ich diese Intimität kennen, die es nur auf Dörfern zu finden gibt. An die Anonymität Berlins gewöhnt, irritierte es mich am Anfang, dass jeder dritte mir entgegenkommende Autofahrer die Hand zum Gruß hebt, wenn er oder sie mich kommen sieht und ich kaum eine Minute in einem Café oder am Strand sitzen kann, ohne dass ein bekanntes Gesicht auftaucht. Neu war auch, dass irgendwie immer jemand da ist, der helfen kann, wenn das Auto mal zickt, eine Fahrgelegenheit oder ein Rat in Lebensweise-in-Portugal-Angelegenheiten benötigt wird. Dorfleben kann also wirklich ganz schön sein, stellte ich mit der Zeit fest.

Allerdings gibt es auch einiges, das ganz klar fehlt. Neben den Liebsten in Deutschland sind es vor allen Dingen Großstadt-Normalitäten, die es zu entbehren gilt. Essen bestellen? Spontan ins Kino? In Geschäften nach neuen Lieblingsstücken stöbern? Theater und Museen? Neue Bands entdecken? All das ist unmöglich oder mit Aufwand verbunden.

Träume leben

Viele Menschen träumen davon, einmal woanders zu leben, neue Leute und Dinge und ein anderes Lebens kennenzulernen. Dank Freiberuflichkeiten und Sabbaticals ist das in vielen Fällen möglich. Es erfordert Mut und einen Drang, diesen Traum zu leben. Aber es lohnt sich. Immer. Denn egal, ob man bloß für einen kurzen Zeitraum in die Traumwelt eintaucht oder dauerhaft einen neuen Lebensmittelpunkt findet, am Ende zählen doch die Erfahrungen, die man in seinem Leben macht und auf die man am Ende zurückblicken und sagen kann, dass man alle großen Träume erfüllt und ein wunderschönes Leben gelebt hat.

Veröffentlicht im KOMPASS, Ausgabe 6/17

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