Ich werde dann mal Yogalehrerin

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Wo, wenn nicht in Indien kann man die beste Ausbildung zum Yogalehrer machen? Eben. Ich habe meine 200 Stunden absolviert und bin dabei an körperliche wie emotionale Grenzen gestoßen.

Überglücklich und erleichtert strahlende Gesichter überall, vereinzelt sind Freudentränen in den Augen zu erblicken. Ein frisch qualifizierter Yoga-Lehrer nach dem nächsten tritt nach vorne, lässt sich von Schirmherr Mahinda „Mahi“ Pradesh und den beiden Lehrern Akshay Koushal und Rakesh Nayak umarmen, beglückwünschen und das Zertifikat überreichen, das ihn nach Yoga-Alliance-Standards zum Lehrer oder Trainer macht. Jeder einzelne der frisch ausgezeichneten Yogis wird von den Klassenkameraden bejubelt und beklatscht. Es ist der Höhepunkt einer intensiven Reise. Die Klassenfahrt ist jetzt vorbei – und dabei scheint es, als wären die Yogis, die hier gemeinsam in weißen Pluderhosen und T-Shirts der Schule ihre Abschlusszeremonie begehen, gerade erst im indischen Bhagsu angekommen.

Tatsächlich ist es vier Wochen her, dass 23 Menschen aus vielen Teilen der Welt anreisten – nicht wissend, was genau sie hier erwarten würde –, um sich in der Yogaschule Mahis zu Yoga-Lehrern und Yoga-Lehrer-Trainern ausbilden zu lassen. Für uns zukünftige Yoga-Lehrer hieß das an Tag eins: 7 bis 9 Uhr Hatha Yoga mit Björn Alex Marcus im großen Yogaraum, der in den vier Wochen fast unser Zuhause werden sollte. Björn machte von Anfang an zwei Dinge sehr deutlich: „In diesem Raum gibt es keine Competition“ und „Sich selbst zu lieben bedeutet nicht, selbstverliebt zu sein.“

Nach der Frühstückspause, in der wir mit unseren silbernen Tabletts voll mit grießartiger Pampe, Joghurt und Toast eine Traumaussicht auf die Berge Richtung McLeod Ganj genossen, fanden wir uns erneut im Yogastudio ein, zur ersten Stunde Art of Teaching. Hier führte uns Anette Quentin in das ein, was viele von uns nun vorhaben: das Yoga-Lehrer-Dasein. Nach einer Stunde, die Anette dazu nutzte, uns die Bedeutung von „Om“ und „Namaste“ beizubringen und eine große Portion Zuversicht zu streuen, gab es in dem gerade fertig aufgestellten Selbstvertrauensgerüst für den einen oder anderen den ersten und kurz darauf zweiten kleinen Knacks. Philosophy bei Akshay war dank seines indischen Dialekts für einige Nicht-Englisch-Muttersprachler zu Beginn eine Herausforderung, für andere waren es die ungewohnten philosophischen Themen. Für mich persönlich kam eins erschwerend hinzu: der pakistanischstämmige Inder erschien wie ein Geist der Vergangenheit, sieht er einer seit sechs Jahren verflossenen Liebe nicht nur zum Verwechseln ähnlich, auch Mimik und Gestik sind erschreckend zwillingshaft. Dieser ruhige, in sich gekehrte Yogi, von dem jeder im Raum das Gefühl hatte, er würde ihm ständig tief in die Seele schauen, sorgte in den vier Wochen für viel Begeisterung, Diskussionsstoff und das eine oder andere glitzernde Auge. Etwa dann, wenn er Weisheiten fallen ließ wie „Wenn eine Person gehen will, wer bin ich, ‚Nein’ zu sagen“. So einfach, so wirkungsvoll. Resultat: eine erste kleine Träne in der Abschlussmeditation der ersten Stunde.

Weniger emotional, dafür jedoch umso ernüchternder dann die nächste Theoriestunde nach der zweistündigen Mittagspause: Anatomy mit Björn. Irgendwie wurde mir hier plötzlich bewusst, dass es in meinem Hirn nicht nur an englischen Fachbegriffen in Sachen Anatomie mangelt, sondern auch, dass mein Biolehrer damals recht hatte, als er mir einzutrichtern versuchte, dass ich dieses Wissen eines Tages brauchen würde. Heilfroh, dass diese Schmach für einen Tag vorbei war, ging es weiter mit Ashtanga-Yoga bei Amit Rehla. Der forderte uns so sehr, dass von dem frisch aufgebauten Angstgerüst gerade mal ein kleines Häufchen Elend übrig blieb, das in den kommenden Tagen in Gänze weggepustet wurde.

An die zweite Yogastunde des Tages angeschlossen dann die nächste Herausforderung: Meditation mit Mahi. In dieser ersten Stunde bedeutete das im Großen und Ganzen: Stillsitzen und auf’s Atmen konzentrieren. Für Dauerdenker wie mich keine leichte Aufgabe. Mit dem dank Höhensensibelei hinzukommenden Schwindel war es dann schnell um mich geschehen: Panikattacke und Tränen. Still sitzen geblieben bin ich trotzdem, ein erster kleiner Erfolg an diesem Tag.

Muskelkater & Tränen

Die Tage verliefen nach dem selben Muster, mit wechselnden Yogastunden, bei denen wir zwischenzeitlich an unsere körperlichen Grenzen kamen, am Ende aber wohl alle feststellten, dass Hatha, Ashtanga, Vinyasa Flow, Partner und Yin Yoga unsere Körper flexibler machten, die Muskeln wuchsen und das Fett schmolz. Eine häufig aufkommende Begleiterscheinung neben dem anfänglichen Muskelkater: Tränen. Ja, es wurde viel geheult in diesen vier Wochen. Denn nicht nur der Körper stößt bei diesem Intensivtraining an seine Grenzen, auch der Geist kommt ans Arbeiten. Und war in meinem Fall zu interessanten Erkenntnissen fähig.

So erklärte Schülerliebling Björn etwa zu Beginn der Yin-Yoga-Stunde an Tag zwei, dass wir es mit vielen Hüftöffnungsübungen zu tun bekämen und gerade in der Hüfte viele Emotionen aufgestaut würden. Das über Minuten in einer Pose verharren, gepaart mit Fundamentalfragen Björns wie „Was ist deine größte Angst?“ oder „Wofür fühlst du dich schuldig?“ hatte seine Wirkung: während ein paar vereinzelte Tränen verdrückten, öffneten sich bei anderen ganze Emotionsstaudämme. So heulte am Ende über die Hälfte des Kurses. Für einige war es genau diese Yoga-Stunde, die nicht nur den Emotionen endlich freien Lauf ließ, sondern ihnen auch ein Gesicht gab.

In meinem Fall war es der Geist der Vergangenheit, der mir schon in Form Akshays erschienen war und von dem ich bis dahin geglaubt hatte, ihn losgelassen zu haben. So ganz stimmte das wohl nicht und so folgte nach der ersten Erkenntnis und Akzeptanz endlich der Beginn des bewussten Loslassens. Entsprechend waren es diverse Meditationen, Yoga-Stunden und Gespräche mit besonders einem Kursteilnehmer, die diesem Loslösungsprozess gewidmet wurden – und ihn am Ende ein großes Stück voran brachten.

Yogalehrer in vier Wochen – Wie soll das denn gehen?

Alte, nicht komplett verabschiedete oder derzeit diffuse Gefühle für einen aktuellen oder ehemaligen Partner waren in den vier Wochen nicht die einzigen Emotionen, die bei einigen Kursteilnehmern aufkamen. Auch hinsichtlich der Yoga-Ausbildung brachen zeitweilig diverse Gefühle los. So schwebte zu Beginn noch die Sorge „In vier Wochen soll ich Yoga-Lehrer sein – wie soll das denn gehen?!“ durch den Raum, wurde jedoch nach und nach durch wachsendes Zutrauen und Freude verdrängt, was zum einen der Intensität, zum anderen dem ruhigen Zuversicht-Zusprechen unserer Lehrer geschuldet war.

Anette setzte etwa jeden einzelnen von uns bereits nach einer Woche unter diversen Zitteranfällen in Händen und Stimmen für eine erste Stunden-Einführung vor die Klasse. Kurz darauf unterrichteten wir unsere Klassenkameraden bereits in verschiedenen Variationen der Surya Namaskar (Sonnengruß) sowie diversen Krieger-Posen und nach oben wie unten schauenden Hunden. All das zur Vorbereitung auf die Abschlussprüfung, in der wir in einer Dreiergruppe eine zweistündige Yogastunde gaben und fast alle trotz flatternden Nervenkostümen richtig Spaß hatten. Neben gewachsenem Selbstvertrauen in Sachen Teaching lag das zu einem guten Teil an der, in den vier Wochen eng zusammengewachsenen, Gruppe, die den Keine-Competition-Gedanken schnell inhaliert und nie wieder ausgeatmet hat. So sprang nach einer jeden praktischen Prüfung der Rest der Klasse auf, bejubelte, beklatschte und knuddelte die Prüflinge.

Ja, der Zusammenhalt war groß und das sicher nicht nur, weil wir jeden Tag aufeinander hingen. Es waren auch kleine interessante, eklige, nervige und schöne Highlights, die unseren Zusammenhalt steigerten.

Gruppenkotzen & Durchdrehmeditation

So heißt Bonding in der Yogawelt offenbar Gruppenkotzen, auch bekannt als Cleansing. Für diese nicht ganz angenehme Körperreinigung trabten wir alle an einem Samstagmorgen an. Während die Nasendusche mit Salzwasser noch okay war, gruselte mich persönlich eher das braune Plastikstäbchen, das wir uns durch die Nase in den Mundraum ziehen sollten. Gar nicht mal einfach und ein Gefühl, sich gleich übergeben zu wollen. Dafür gab es dann auch noch genügend Gelegenheit: Literweise warmes Salzwasser wurden hier von jedem von uns getrunken und anschließend im hohen Schwall wieder ausgekotzt. Das meinen Liebsten zu Hause erzählt, sorgte erstmalig für die Sorge, dass ich nicht in einer Yogaschule sondern einer Sekte gelandet sei.

Dieser Gedanke kam mir beim Gruppenkotzen zwar nicht, dafür aber kurzzeitig an anderer Stelle: Eine unserer täglichen Meditationen bestand darin, jegliche Emotion nach einer gefühlten Ewigkeit des kräftigen Ausatmens, Ausdruck zu verleihen. In Lachen, Weinen, Schreien oder wonach einem auch immer beliebte. Für mich war es das Ende meines Silent Days, der unglücklicherweise auf den Tag der Trump-Wahl fiel und mir entsprechend wahnsinnig schwer gefallen war, und so gab ich einen lauten Schrei von mir – und fand das schon in dem Moment ziemlich merkwürdig. Kurz darauf fand ich mich auf dem Boden sitzend wieder, mit zwei anderen, denen das Spektakel auch zu viel war, und beobachtete, wie die anderen buchstäblich durchzudrehen schienen. Da war es dann doch schwer, nicht an eine Sekte zu denken.

Nun stehen wir da, am Ende einer vierwöchigen Reise und keiner hat sein Hab und Gut an den Guru abtreten müssen. Stattdessen haben wir viel gelernt und gewonnen, eine neue Job-Perspektive, jede Menge Input, Klarheit für so manches Problem und neue Freunde. Denn tatsächlich scheint es, als sei diese Reise noch nicht ganz vorbei, treffen sich die meisten von uns schon bald in Goa wieder.

Veröffentlicht im KOMPASS – Print & Online, Januar 2017

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