Ohne Erwartungen ist TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel nach Kambodscha gefahren – und hat sich bis über beide Ohren in das Land verliebt. Hier nennt sie sechs Gründe, warum Kambodscha auch abseits der Top-Attraktion Angkor Wat eine Reise wert ist.
1. Kambodscha ist im Aufbruch
Ich hatte mir das so vorgestellt: Ich miete einen Roller und rutsche damit Stein für Stein über unasphaltierte Straßen. Fast im Schritttempo, um nicht mitsamt Gefährt eine Bruchlandung zu machen. Stattdessen fahre ich in Rollerhöchstgeschwindigkeit über asphaltierte Highways, gegen die Berliner Straßen Löcherlandschaften hinterletzter Art sind. Die Moderne ist auf den Hauptstraßen Kambodschas angekommen. Aber fast nur da. Noch immer gibt es Schotterpisten, an Straßenständen hängende Fleischmonstren, die noch nie etwas von Hygienestandards gehört haben, graziös ausbalancierte Frauen, die ihre Waren auf dem Kopf transportieren. Pol Pot und Konsorten haben Kambodscha in seinem Streben nach Modernisierung zurückgeworfen, das ist sichtbar. Aber Kambodscha ist im Aufbruch. Fast ständig verfügbares WLAN und Protzstraßen sind nur zwei Zeichen. Wer es noch annähernd ursprünglich sehen möchte, sollte deshalb lieber jetzt statt morgen nach Kambodscha fahren.
Ursprünglich und modern – das ist Kambodscha. Wer das Land erleben möchte, bevor es sich komplett modernisiert hat, sollte recht bald mal ins Flugzeug steigen.
Foto: Anna Wengel
2. Hier kann man in schillerndem Plankton schwimmen
Kambodscha kann Kitsch. Kambodscha glitzert nämlich. Nicht nur die diversen Festtagsbeleuchtungen, die hier und da in den Nächten den Strand im Süden erhellen. Auch das Meer glitzert, wenn man nachts drin planscht. Die wenig romantische Erklärung dafür: Plankton. Schon Mini-Hand- oder Beinbewegungen bringen es zum Funkeln und machen so das Kitsch-Szenario aus Angeber-Sternenhimmel und Sichelmond perfekt.
3. Gruselessen
„Vorsicht, Krokodile!“, werde ich gewarnt, bevor ich meinen Fuß todesmutig auf ein kleines Minischiff setze. Tatsächlich. Rund 20 kleine Alligatoren liegen da unter mir auf einer Holzplanke. Ich freue mich ein bisschen über diesen überraschenden Fast-Wildnis-Fund – und bekomme eine Speisekarte unter die Nase gehalten: Krokodil am Spieß steht da. Und das soll nicht das einzige Gruselessen bleiben.
Krokodil, Skorpion, Schlange – Kambodscha hat ein riesiges Repertoire an für westliche Gaumen gruselig wirkende Spezialitäten
Foto: Anna Wengel
Schlange, Skorpion und andere für uns wie Absurditäten wirkende Spezialitäten werden probierfreudigen Touristen in Kambodscha am Spieß unter die Nase gehalten. Etwas weniger gruselig finde ich den Inhalt der Suppentöpfe, aus denen am Straßenrand geschöpft wird. Hier speist man tendenziell eher mit Locals als Touristen. Grund genug für mich, mal die undefinierbare Suppe zu probieren. Was genau da drin ist? Keine Ahnung. Ganz ehrlich, ich wollte es nicht wissen. Wenn schon Krokodil auf Speisenkarten steht, wer weiß, was am Straßenrand in den Topf fliegt.
Gruselig dürfte für Veganer und Vegetarier auch die Auswahl auf den Märkten sein – übrigens eines meiner absoluten Highlights. Hier gibt es alles Fleischige und Fischige am Spieß, ebenso wie diverse Eissorten mit Kokos-, Taro- oder Duriangeschmack.
Schlangen, Spinnen, Skorpione – was auf Kambodschas Straßen angeboten wird, ist für unsereins oft mehr als gewöhnungsbedürftig
Foto: Anna Wengel
4. Das Gefängnis S21 und die Killing Fields
Blutreste auf dem Boden von Minizellen. Fotos von gerade erst Verstorbenen auf Stellwänden. Zeichnungen brutalster Foltermethoden neben realen Foltergeräten. Das Gefängnis S-21, heute das Tuol-Sleng-Genozid-Museum, in Phnom Penh gehört zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten.
Vielbesucht sind auch die sogenannten Killing Fields, wo die Roten Khmer Mitte bis Ende der 1970er-Jahre Zehntausende Menschen ermordeten. Die Stätten sind heute ein schauriges Mahnmal des düstersten Kapitels der kambodschanischen Geschichte. Sowohl im S-21 als auch auf den Killing Fields werden Touristen von brutaler Realität durchgeschüttelt – spätestens dann, wenn der Audio-Guide-Sprecher erzählt, wie Babys mit dem Kopf gegen den Baum geschlagen wurden. Es ist brutal, es ist widerlich und es ist wichtig, dass man weiß, was in Kambodscha passiert ist. Die Geschichte der Roten Khmer (1975 bis 1979), die unter Pol Pot das ganze Land unter ihre brutale Hand brachten, Millionen umbrachten und nach ihrem theoretischen Ende fast fröhlich und zum Teil ungestraft davon kamen, ist unfassbar. Im S-21 und auf den Killing Fields wird man relativ schonungslos damit konfrontiert.
5. Khmer-Massage
Noch eine halbe Stunde später habe ich diese Faust gespürt. Durch meinen Bauch drückte sie sich in den Rücken bis fast auf die Matte darunter. Organe? Die haben sich vor Schreck versteckt. Meine Oberschenkelmuskeln haben noch am nächsten Tag gemeckert, dass sie es nicht lustig finden, wenn man sie um 180 Grad dreht, während der restliche Körper unter dem der Masseurin verschwindet, die ihn zwangsjackenähnlich an Ort und Stelle presst. Klingt nicht einladend? Eine Khmer-Massage – vergleichbar mit der thailändischen Variante – ist definitiv keine Wohlfühl-Massage. Aber wer es mag, wenn die Muskeln dann butterweich sind, weil sie so richtig durchgeknetet wurden, wird nie wieder aufhören, sich diese Massage-Technik antun zu lassen. Der Schmerz lohnt sich.
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